Erstmals in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts legen die Karlsruher Richter dem EuGH eine Rechtsfrage zur Prüfung vor. Der Europäische Gerichtshof soll prüfen, ob die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem sg OMT-Beschluß vom 06.09.2012 (Technical features of Outright Money Transactions) zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen gegen EU-Recht verstoßen hat. Nach Ansicht des BVerfG sprechen gewichtige Gründe dafür, daß die EZB ihre Kompetenzen überschritten habe. Der OMT-Beschluß sieht vor, daß die EZB Staatsanleihen ausgewählter Mitgliedsstaaten in unbegrenzter Höhe im Rahmen einer Inanspruchnahme der Rettungsfaszilitäten des Eurosystems (ESM oder EFSF) ankaufen kann. Das BVerfG selbst hält die Unvereinbarkeit des OMT-Beschlusses mit EU-Recht für wahrscheinlich. Zum einen geht es um die anzunehmende Überschreitung des währungspolitischen Mandats der EZB, welches damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreife, zum anderen stelle der Beschluß möglicherweise eine unzulässige Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung dar. Dennoch hält das Gericht eine einschränkende und damit europarechtskonforme Auslegung des OMT-Beschlusses für denkbar. Zwei der acht Verfassungsrichter gaben ein Sondervotum ab.
Das BVerfG hat sich bisher gescheut, ein Vorlageentscheidungsverfahren anzustrengen. So hat es in der Maastricht-Entscheidung anstatt den EuGH anzurufen, den Generaldirektor des Juristischen Dienstes der Kommission angehört. Dieses Mal jedoch sah sich das BVerfG offensichtlich aufgrund der Brisanz und Bedeutung der Entscheidung zur Vorlage verflichtet. Eine Vorlage wäre gemäß Art. 234 EGV nicht in Betracht gekommen, wenn die Rechtslage offensichtlich wäre. Nicht nur der Kurswechsel des BVerfG überrascht hier, sondern auch das Hoffen des Gerichts auf die entfernte Möglichkeit einer primärrechtskonformen Auslegung, für die der Wortlaut der Verträge extrem gedehnt werden müßte.
Es ist nicht zu erwarten, daß die EZB den OMT-Beschluß umsetzen wird, solange das Verfahren vor dem EuGH anhängig ist. Die erhofften Handlungsspielräume vor dem Hintergrund einer sich immer weiter verschärfenden Finanzkrise im Euroraum dürften damit ausbleiben. Der Beschluß des BVerfG entlarvt zudem EZB Präsident Mario Draghi als einen Eurokraten, der an die Grenzen oder gar darüber hinaus geht, um ein von Anfang an nicht überlebensfähiges Konstrukt am Leben zu erhalten. Geradezu ein Paradebeispiel modernen Despotentums unter Verstoß gegen Recht und Gesetz.
Enttäuschung verbreitet sich in den Reihen der CDU, doch man sei zuversichtlich und vertraue “auf eine europafreundliche Entscheidung” des EuGH. Eine solche, rein auf politischen Erwägungen gründende Rechtsfindung sollte von keinem Gericht erwartet werden. Noch müssen sich diese an die Rechtstatsachen halten, was manchen in der Politik nicht so leicht fällt. Schon aus rein tagespolitischen Erwägungen allerdings ist nicht davon auszugehen, daß eine Entscheidung des EuGH vor der Europawahl im Mai 2014 ergehen wird.
Es bleibt zu hoffen, daß sich die Verfassungshüter die Prüfungskompetenz für den Ausnahmefall vorbehalten.
Möglicherweise hat der harte Euro am Ende doch gewonnen.